Strafmaß versuchter Totschlag
Das Wichtigste im Überblick
Strafrahmen beim versuchten Totschlag: Grundsätzlich besteht derselbe Strafrahmen, der auch für den vollendeten Totschlag gilt, aber es gibt Milderungsmöglichkeiten
Erhebliche Strafmilderung gegenüber vollendetem Totschlag: Während vollendeter Totschlag mit nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, kann beim Versuch die Strafe nach § 23 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden, was den Strafrahmen deutlich senkt.
Entscheidende Rolle der Verteidigung: Eine frühzeitige und strategisch durchdachte Strafverteidigung kann erheblichen Einfluss auf die Strafzumessung nehmen, insbesondere durch die Darstellung mildernder Umstände und die Prüfung rechtlicher Alternativen.
Warum das Strafmaß beim versuchten Totschlag so bedeutsam ist
Der Vorwurf des versuchten Totschlags gehört zu den schwerwiegendsten Anschuldigungen im deutschen Strafrecht. Betroffene sehen sich mit der Aussicht auf jahrelange Freiheitsstrafen konfrontiert und stehen unter enormem psychischen Druck. Die Frage nach dem drohenden Strafmaß beschäftigt Beschuldigte und ihre Angehörigen von Beginn eines Ermittlungsverfahrens an.
Das Strafmaß beim versuchten Totschlag ist nicht pauschal festgelegt, sondern unterliegt einer komplexen rechtlichen Bewertung. Die Bandbreite reicht von milderen Freiheitsstrafen bis hin zu langjährigen Haftstrafen, die das Leben des Verurteilten grundlegend verändern. Dabei spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle: die konkreten Tatumstände, die Motivation des Täters, sein Vorleben und nicht zuletzt die Qualität der Verteidigung.
Für Beschuldigte ist es essentiell, die rechtlichen Grundlagen zu verstehen und zu wissen, welche Faktoren die Strafzumessung beeinflussen. Nur so können sie gemeinsam mit ihrem Verteidiger eine tragfähige Verteidigungsstrategie entwickeln. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Grundlagen, die Strafzumessungskriterien und praktische Handlungsempfehlungen für Betroffene.
Rechtliche Grundlagen: Versuchter Totschlag nach § 212, § 22, § 23 StGB
Der Tatbestand des Totschlags (§ 212 StGB)
Der Totschlag ist in § 212 Abs. 1 StGB definiert als die vorsätzliche Tötung eines Menschen ohne Vorliegen der Mordmerkmale des § 211 StGB. Der entscheidende Unterschied zum Mord liegt darin, dass beim Totschlag keine niedrigen Beweggründe, keine heimtückische, grausame oder gemeingefährliche Begehungsweise und keine weiteren besonderen Umstände vorliegen, die die Tat als Mord qualifizieren würden.
Vollendeter Totschlag wird gemäß § 212 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen nach § 212 StGB beträgt die Strafe zwischen einem und zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Der Versuch im Strafrecht (§ 22, § 23 StGB)
Ein Versuch liegt nach § 22 StGB vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Beim versuchten Totschlag bedeutet dies, dass der Täter mit Tötungsvorsatz gehandelt hat und sein Verhalten bereits so weit fortgeschritten war, dass es unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung hätte führen können – der Todeseintritt jedoch ausgeblieben ist.
Nach § 23 Abs. 1 StGB ist der Versuch eines Verbrechens stets strafbar. Da Totschlag als Verbrechen gilt, ist auch der versuchte Totschlag immer strafbar.
Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB
§ 49 Abs. 1 StGB regelt die fakultative Strafmilderung beim Versuch. Das Gericht kann, muss aber nicht, die Strafe mildern. Bei einer Milderung wird die Höchststrafe auf drei Viertel der angedrohten Höchststrafe herabgesetzt, und das gesetzliche Mindestmaß verringert sich entsprechend.
Konkret bedeutet dies für den versuchten Totschlag: Statt der Mindeststrafe von fünf Jahren beim vollendeten Totschlag kann das Gericht beim Versuch eine Freiheitsstrafe ab sechs Monaten verhängen.
Hauptaspekte der Strafzumessung beim versuchten Totschlag
Strafzumessungsgrundsätze nach § 46 StGB
Die konkrete Strafhöhe innerhalb des gesetzlichen Rahmens wird nach § 46 StGB bestimmt. Das Gericht muss die Schuld des Täters als Grundlage der Strafzumessung berücksichtigen und dabei alle für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abwägen. Zu den wichtigsten Strafzumessungskriterien gehören:
Beweggründe und Ziele des Täters: War die Tat geplant oder entstand sie aus einer Affekthandlung? Spielten emotionale Faktoren eine Rolle, etwa eine vorausgegangene Provokation durch das spätere Opfer? Affekttaten werden in der Regel milder bestraft als kühl geplante Angriffe.
Art der Ausführung: Wie wurde die Tat begangen? Wurde eine Waffe eingesetzt, und wenn ja, welche? Die Verwendung besonders gefährlicher Tatmittel oder eine besonders brutale Vorgehensweise wirken sich strafschärfend aus. Auch die Intensität des Angriffs und die Anzahl der Angriffe spielen eine Rolle.
Verschulden des Täters: In welchem Ausmaß hat der Täter gegen die Rechtsordnung verstoßen? Wie stark war sein Tötungsvorsatz ausgeprägt? Handelte er mit bedingtem Vorsatz (er nahm den Tod billigend in Kauf) oder mit direktem Tötungsvorsatz?
Tatfolgen und Gefährdung: Wie schwer wurden das Opfer oder andere Personen verletzt? Je näher die Tat der Vollendung kam und je schwerwiegender die eingetretenen Verletzungen sind, desto höher fällt in der Regel die Strafe aus.
Persönliche Verhältnisse des Täters
Neben den tatbezogenen Umständen berücksichtigt das Gericht auch persönliche Faktoren:
Vorleben und Vorstrafen: Ersttäter werden in der Regel milder bestraft als Wiederholungstäter. Einschlägige Vorstrafen, insbesondere wegen Gewaltdelikten, wirken sich strafschärfend aus. Ein positives Vorleben ohne strafrechtliche Auffälligkeiten kann hingegen strafmildernd wirken.
Verhalten nach der Tat: Hat der Täter Reue gezeigt? Hat er sich beim Opfer entschuldigt oder versucht, den Schaden wiedergutzumachen? Solche Bemühungen können die Strafe mildern. Auch die Kooperationsbereitschaft mit den Ermittlungsbehörden kann berücksichtigt werden.
Soziale und familiäre Situation: Die persönlichen Lebensumstände des Täters fließen in die Bewertung ein. Eine gefestigte soziale Stellung, familiäre Bindungen und berufliche Integration können sich positiv auswirken.
Tatmotiv und psychische Ausnahmesituation: Befand sich der Täter in einer psychischen Ausnahmesituation? Litt er unter erheblichem emotionalen Stress? Solche Umstände können, wenn sie nachweisbar sind, strafmildernd berücksichtigt werden.
Praktische Tipps für Beschuldigte
Sofortiges Verhalten nach der Festnahme
Schweigen Sie: Nutzen Sie Ihr Aussageverweigerungsrecht nach § 136 StPO. Machen Sie keine spontanen Äußerungen zur Sache, weder gegenüber der Polizei noch gegenüber anderen Ermittlungsbehörden. Jede Aussage kann gegen Sie verwendet werden.
Kontaktieren Sie umgehend einen Strafverteidiger: Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Sie haben das Recht, vor jeder Vernehmung mit einem Verteidiger zu sprechen.
Unterschreiben Sie nichts: Unterschreiben Sie keine Protokolle oder Erklärungen, bevor Sie diese mit Ihrem Verteidiger besprochen haben.
Die Bedeutung der Akteneinsicht
Nach Abschluss der Ermittlungen hat Ihr Verteidiger das Recht auf Akteneinsicht. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die Beweislage zu beurteilen und eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Die Akten enthalten alle Zeugenaussagen, Gutachten, Beweismittel und die Anklageschrift.
Ihr Verteidiger wird die Akten sorgfältig analysieren und prüfen, ob die Vorwürfe überhaupt berechtigt sind, ob Verfahrensfehler vorliegen oder ob mildernde Umstände geltend gemacht werden können. Häufig ergeben sich aus der Aktenlage bereits wichtige Ansatzpunkte für die Verteidigung.
Strategien der Verteidigung
Infragestellen des Tötungsvorsatzes: Ein zentraler Verteidigungsansatz kann darin bestehen, den Tötungsvorsatz zu bestreiten. War der Täter sich der tödlichen Gefahr seines Handelns überhaupt bewusst? Wollte er das Opfer nur verletzen, nicht aber töten? Liegt möglicherweise nur eine gefährliche Körperverletzung vor?
Geltendmachung von Notwehr oder Notstand: Handelte der Beschuldigte in Notwehr (§ 32 StGB) oder Nothilfe? Bestand eine gegenwärtige rechtswidrige Angriffssituation? Auch ein entschuldigender Notstand (§ 35 StGB) kann in Betracht kommen.
Berücksichtigung mildernder Umstände: Ihr Verteidiger wird alle strafmildernden Faktoren herausarbeiten: Provokation durch das Opfer, psychische Ausnahmesituation, Affekthandlung, positives Vorleben, Reue und Schadenswiedergutmachung.
Checkliste: Handlungsempfehlungen für Beschuldigte
Unmittelbar nach der Tat oder Festnahme:
- Machen Sie von Ihrem Schweigerecht Gebrauch
- Kontaktieren Sie sofort einen Strafverteidiger
- Unterschreiben Sie keine Protokolle ohne anwaltliche Beratung
- Dokumentieren Sie, soweit möglich, Ihre Erinnerung an den Tathergang für Ihren Verteidiger
Im Ermittlungsverfahren:
- Lassen Sie keine Vernehmung ohne Anwesenheit Ihres Verteidigers zu
- Stellen Sie sicher, dass Ihr Verteidiger Akteneinsicht erhält
- Sammeln Sie entlastende Beweismittel (Zeugen, Dokumente, Fotos)
- Dokumentieren Sie mildernde Umstände (Provokation, psychische Belastung)
- Holen Sie bei Bedarf ärztliche Atteste über Verletzungen oder psychische Belastungen ein
Vor der Hauptverhandlung:
- Besprechen Sie mit Ihrem Verteidiger die Verteidigungsstrategie
- Prüfen Sie, ob ein psychiatrisches Gutachten zur Schuldfähigkeit sinnvoll ist
- Überlegen Sie, ob eine Verständigung mit dem Gericht in Betracht kommt
- Bereiten Sie sich mental auf die Hauptverhandlung vor
- Klären Sie mit Ihrem Verteidiger die Aussagestrategie
Nach dem Urteil:
- Erwägen Sie bei einer Verurteilung Strafaussetzung zur Bewährung
- Nutzen Sie Beratungsangebote zur Resozialisierung
Die Bedeutung professioneller Verteidigung
Die konkrete Strafhöhe hängt von zahlreichen Faktoren ab, die im Einzelfall sorgfältig zu prüfen und gegeneinander abzuwägen sind. Eine pauschale Vorhersage ist nicht möglich – jeder Fall ist anders.
Entscheidend für Beschuldigte ist die frühzeitige Einschaltung eines erfahrenen Strafverteidigers. Eine durchdachte Verteidigungsstrategie kann den Unterschied zwischen einer milden und einer langjährigen Haftstrafe ausmachen. Dabei geht es nicht nur um die juristische Argumentation vor Gericht, sondern auch um die richtige Weichenstellung bereits im Ermittlungsverfahren.
Häufig gestellte Fragen
Mit welcher Strafe muss ich beim versuchten Totschlag rechnen?
Die konkrete Strafhöhe hängt von zahlreichen Faktoren ab, etwa den Tatumständen, der Art der Tatausführung, Ihrem Vorleben und den Tatfolgen. In der Praxis liegen die Strafen häufig zwischen zwei und acht Jahren, können aber je nach Schwere der Tat auch deutlich höher ausfallen.
Was ist der Unterschied zwischen versuchtem Totschlag und versuchtem Mord?
Der entscheidende Unterschied liegt in den Mordmerkmalen nach § 211 StGB. Mord liegt vor, wenn der Täter aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln oder zur Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat tötet. Beim Totschlag fehlen diese besonderen Merkmale. Der Strafrahmen ist beim Mord deutlich höher.
Kann ich durch Reue und Entschuldigung die Strafe mildern?
Ja, Reue und ein Entschuldigungsversuch können als strafmildernde Faktoren bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Insbesondere wenn Sie sich beim Opfer entschuldigen, Schadenswiedergutmachung leisten oder glaubhaft Reue zeigen, kann dies zu einer milderen Strafe führen. Allerdings sollten Sie solche Schritte immer mit Ihrem Verteidiger abstimmen, um nicht ungewollt belastende Aussagen zu machen.
Was passiert, wenn ich die Tat aus einer Notwehrsituation heraus begangen habe?
Wenn Sie in einer Notwehrsituation nach § 32 StGB gehandelt haben, also einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abgewehrt haben, kann dies zur vollständigen Rechtfertigung Ihrer Handlung führen – Sie wären dann nicht strafbar. Allerdings muss die Notwehr erforderlich und verhältnismäßig gewesen sein. Ihr Verteidiger wird prüfen, ob tatsächlich eine Notwehrlage vorlag und ob Ihre Reaktion angemessen war.
Welche Rolle spielen Vorstrafen für das Strafmaß?
Vorstrafen, insbesondere einschlägige Vorstrafen wegen Gewaltdelikten, wirken sich erheblich strafschärfend aus. Sie zeigen dem Gericht, dass frühere Verurteilungen den Täter nicht von weiteren Straftaten abgehalten haben. Ersttäter werden in der Regel deutlich milder bestraft. Allerdings ist auch bei Vorstrafen eine individuelle Betrachtung erforderlich – Art und Zeitpunkt der Vorstrafen spielen eine Rolle.
Kann ein psychiatrisches Gutachten meine Strafe reduzieren?
Ein psychiatrisches oder psychologisches Gutachten kann erheblichen Einfluss auf die Strafzumessung haben. Wenn das Gutachten eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB feststellt, kann die Strafe gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Bei Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB entfällt die Strafbarkeit sogar ganz, allerdings kann dann eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden.
Wie lange dauert ein Strafverfahren wegen versuchten Totschlags?
Die Verfahrensdauer variiert erheblich und hängt von der Komplexität des Falls ab. Von der Anklageerhebung bis zur Hauptverhandlung vergehen häufig mehrere Monate bis über ein Jahr. Kommen Gutachten hinzu oder ist der Sachverhalt komplex, kann das Verfahren auch länger dauern.
Kann ich gegen das Urteil vorgehen?
Ja, gegen ein erstinstanzliches Urteil kann Berufung eingelegt werden, gegen ein zweitinstanzliches Urteil steht die Revision zum Bundesgerichtshof offen. Die Revision prüft allerdings nur Rechtsfehler, nicht die tatsächlichen Feststellungen. Ihr Verteidiger wird Sie beraten, ob Rechtsmittel Erfolgsaussichten haben. Die Fristen für Rechtsmittel sind kurz – Berufung muss innerhalb einer Woche, Revision innerhalb eines Monats eingelegt werden.
Welche Kosten kommen auf mich zu?
Bei einem Strafverfahren wegen versuchten Totschlags entstehen erhebliche Kosten: Anwaltsgebühren, Gerichtskosten und gegebenenfalls Kosten für Gutachten. Bei einer Verurteilung müssen Sie in der Regel die Kosten des Verfahrens tragen.




